Die Humbucking-Pickups auf den alten Gibson-Gitarren von 1957 bis 1962 tragen auf der Unterseite ein Schildchen, da steht drauf "patent applied for". Da sind die Gitarrensammler so scharf drauf. Ihre Preise sind mittlerweile bis in astronomische Höhen hochkatapultiert. Die sollen so wahnsinnig gut klingen. Der sagenumwobene Vintage-Sound.
Was steckt eigentlich dahinter?
Zunächst einmal ein paar Worte ganz knochentrockene Juristerei: "patent applied for" heißt auf Deutsch "Patent angemeldet" und ist ein feststehender Begriff aus dem Patentrecht. Der Erfinder hat seine Erfindung an das Patentamt eingereicht und wartet jetzt darauf, dass er sein Patent dafür kriegt. Wenn er das dann hat, ist seinen Konkurrenten für maximal 20 Jahre verboten, das Gerät nachzubauen, es sei denn mit offizieller Lizenz. Während der Zeit zwischen Anmeldung und Patenterteilung herrscht ein Schwebezustand, oft mehrere Jahre, weil das nun mal alles seinen bürokratischen Gang geht. Da wird die Erfindung geprüft, ob sie erstens wirklich so genial ist, dass sie eines Patents würdig ist, zweitens, ob nicht irgendjemand anders das gleiche Ding schon vorher erfunden hat. Während dieser Zeit genießt der Erfinder einen vorläufigen Nachbauschutz. Auf diesen weist das besagte Schild hin. Der wird dann nach der Prüfung entweder endgültig bestätigt, oder er verfällt wieder.
Das Humbucking-Prinzip zur Brummbeseitigung war in der Elektrotechnik schon früh bekannt. Man verwendet zwei Spulen statt einer, wobei sich die induzierten Brummsignale gegenseitig wegheben, die Tonsignale aber addieren. Es heißt allgemein, Seth Lover, Mitarbeiter von Gibson, hätte das 1955 zum erstenmal in E-Gitarren-Pickups angewendet. Das ist nicht ganz richtig; es gab auch vor ihm einige, die sowas gemacht haben, z. B. Arnold Lesti, Armand Knoblaugh und ein paar weitere, aber deren Konstruktionen waren unpraktisch. Lover's Version war besser. In seiner Patentanmeldung sind noch etliche andere Versionen aufgeführt, außer dem Standard-Humbucker ging davon aber nur noch der dicke "Sidewinder" mit zwei horizontal liegenden Spulen in Serie - in den alten Gibson-Bässen. Die ganzen anderen gerieten in Vergessenheit.
Parallel dazu kam Raymond Butts bei Gretsch auf das gleiche Prinzip, er nannte seinen Typ "Filtertron". Seine Patentschrift enthält ebenfalls noch viele andere Konstruktionen, Überlappung mit Lover gab es nur beim "normalen" Humbucker. So erklärt es sich, dass letztlich beide Erfinder ihre eigenen Patente bekommen haben. Später hat dann auch Guild ähnliche Humbucker hergestellt und damit eigentlich die Patente verletzt; über Streitigkeiten ist mir aber nichts bekannt.
Ab 1957 wurden dann also Lover's Humbucker in verschiedene Gibson-Gitarren eingebaut, z. B. in die besseren Les Pauls (Standard und Custom) und in einige vollakustische Jazzgitarren wie Super 400CES, L5CES, ES5-Switchmaster, 1958/59 dann auch in die frisch vorgestellten Semi-Solid-Modelle ES335/345/355. Zu der Zeit war das Patent dafür angemeldet, aber noch nicht erteilt. Um eventuelle Nachahmer gleich vorzuwarnen, haben die Gibson-Leute das besagte Schild unten drunter geklebt.
Im Juli 1959 haben sie dann ihr Patent endlich gekriegt. Es bekam die Nummer 2896491. Sie haben aber das alte Schildchen noch weiterhin draufgeklebt, erst 1962 haben sie es gegen ein anderes mit der Patent-Nummer ausgetauscht. Dabei haben sie sich allerdings vertan, sie haben die Nummer 2737842 daraufgesetzt, die ein Patent für einen Saitenhalter war. Die Pickups mit dem neuen Schild sind nun von den Sammlern bei weitem nicht so begehrt. Nicht nur weil es so sehr viel mehr davon gibt. Sondern es heißt, sie klingen anders - nicht mehr ganz so schön wie die alten. Wieso das? An dem Schildchen liegt das ganz bestimmt nicht.
Wenn man die Humbucker aus dieser Zeit genauer untersucht, dann muss man feststellen, dass sie
klanglich stark variieren. Sowas wie einen einheitlichen "Vintage"-Sound gibt es letztlich gar nicht. Das kann man auch technisch nachweisen. Ich habe vor Jahren mal mit meinem Pickup-Analyzer die Übertragungsfrequenzgänge von einer ganzen Reihe von Exemplaren durchgemessen. Die Streubreite zeigte sich in aller Deutlichkeit. Zwischen dem Kurvenverlauf und dem klanglichen Eindruck besteht ein eindeutiger Zusammenhang. Wenn der Buckel auf der Kurve - die Resonanzfrequenz - bei einer hohen Frequenz liegt (z. B. um 3000 Hz), ist der Ton sehr hell und klar, bei tieferen (2500 Hz, 2000 Hz oder noch weniger) ist er sehr warm und mittenbetont. Hier sind meine
Messkurven von vier verschiedenen Gibson-Humbuckern. Von den alten PAFs sind drei grundverschiedene gezeigt: ein relativ heller, ein mittlerer und ein sehr weicher. Die vierte Kurve stammt von einem neuenTyp (490). Nicht nur die Position der Resonanzfrequenz ist bei jedem Exemplar woanders, auch die Resonanzüberöhung kann variieren.
Offenbar haben die beim Wickel der Spulen die Windungen nicht gezählt, sondern einfach dann aufgehört, wenn die Spule voll war. Sehr bald müssen sie aber selber gemerkt haben, dass das so nicht weitergeht, jedenfalls haben sie irgendwann im Jahre 1961 die Windungszahl auf 5000 je Spule festgelegt.
Der Frequenzgang ist aber nun noch nicht alles. Auch die Grundlautstärke schwankt erheblich, weil die Magnete häufig verschieden stark waren - auch noch nach 1961. Es wurden unterschiedlche Alnico-Sorten verwendet, je nachdem, was gerade verfügbar war, häufig Alnico 2 und Alnico 3; beide sind schwächer als Alnico 5. Ein lauterer Pickup "klingt" scheinbar anders als ein leiserer, auch bei übereinstimmenden Übertragungskurven. Das kommt daher, dass er den Verstärker (Röhren vorausgesetzt) weiter in die Übersteuerung treibt, so dass es sich anders anhört.
Im übrigen sind Materialbezeichnungen wie "Alnico 2", "Alnico 3", "Alnico 4" usw. nur allgemeine Oberbegriffe. Auch innerhalb einer Sorte können erhebliche Schwankungen auftreten. Sogar ein und derselbe Magnet kann über seine Länge hinweg in seiner Stärke beträchtlich variieren; letzlich ist jeder - und damit jeder Pickup - ein Unikat. Generell scheinen alle Balkenmagnete in der Mitte etwas stärker zu sein als an den Enden. Das ist durchaus günstig, weil sich dadurch Lautstärkeunterschiede zwischen den einzelnen Saiten, die von der Griffbrettwölbung herrühren, halbwegs wieder ausgleichen.