Kondensatoren als Störenfriede
Kondensatoren als Störenfriede
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Was die genaue Ursache für die Verzerrungen ist, wissen selbst Kondensator-Fachleute noch nicht mit letzter Sicherheit. Die Beobachtungen zeigen, dass manche Dielektrika eine Art "Gedächtnis" für elektrische Felder haben, denen sie einmal ausgesetzt waren. Wenn man einen Kondensator auflädt, zum Entladen kurzschließt und bei angeschlossenem Voltmeter den Kurzschluss wieder beseitigt, dann steigt die Spannung erneut langsam an. Dieser Effekt nennt sich "dielektrische Absorption" (DA). Er ist um so stärker, je höher die Dielektriziätskonstante ist und tritt nicht nur bei Elkos auf, sondern auch bei ungepolten Kondensatoren – hier allerdings sehr viel schwächer. Die Spannung, die sich nach dem Entladen wieder neu bildet, heißt im englischen Sprachgebrauch "recovery voltage". Sie wird als Prozentsatz der vorherigen Ladespannung angegeben. Manche Kondensatoren, insbesondere eben Elkos, können Werte von mehr als 10 Prozent erreichen. Für hochwertige Audioschaltungen ist bereits 1 % entschieden zu viel.
Die DA verhindert bei Beaufschlagung mit Wechselspannung eine vollständige Volladung und Entladung. Wenn sich das Signal umpolt, dann erzeugt sie einen verzögerten Strom mit der vorhergehenden Polarität; es ergibt sich ein Hystereseeffekt, der mit zunehmender Frequenz stärker wird [5]. Die klangliche Wirkung bei einem HiFi-Verstärker ist ein Verlust an Detailtreue; die Wiedergabe wirkt unpräzise, komprimiert, der Dynamikbereich verringert sich, der Rauschuntergrund steigt an. Laut John Curl, High-End-Verstärkerentwickler bei der US-Firma Parasound, hängen die Auswirkungen dieses Effekts weitgehend von der Kurvenform des Signal ab [6]: "Musik ist kein normales Testsignal, die Kurve ist nicht notwendigerweise symmetrisch. Die DA stört besonders bei asymmetrischen Signalen. Das Dielektrikum speichert einen Teil des Signals und gibt es verzögert wieder frei. Der Kondensator schwächt sozusagen die Spitzen ab."
Die Norm MIL-C-19978D legt ein Testverfahren für die dielektrische Absorption fest, an das sich die Kondensator-Hersteller weitgehend halten: den Kondensator 5 Minuten an die Ladespannung legen, 5 Sekunden entladen, 1 Minute mit offenen Anschlüssen ruhen lassen, dann die Recovery-Spannung messen und in Prozent von der Ladespannung angeben. Bei gleicher Kapazität und verschiedener Spannungsfestigkeit hat der Kondensator mit der höheren Spannungsfestigkeit die niedrigere DA. Das heißt, wenn man schon einen Elko nehmen muss, dann am besten einen mit möglichst hoher Nennspannung. Bipolare Elkos haben eine niedrigere DA als polare, für die meisten Anwendungen aber auch noch zu hoch. Und Tantal-Elkos haben eine höhere als Aluminium-Elkos.
HiFi-Fetischisten loben vielfach die Klangeigenschaften von Röhrenverstärkern, die so viel besser sein sollen als die von Transistorverstärkern. Wie sich bei genauerer Untersuchung herausstellt, wird ein wesentlicher Teil dieses Unterschieds überhaupt nicht durch die verstärkenden Bauelemente verursacht, sondern durch die Koppelkondensatoren. Röhrenschaltungen haben hohe Versorgungs- und Signalspannungen und hohe Impedanzen. Deshalb verwendet man relativ kleine Kondensatoren mit hoher Spannungsfestigkeit – also Kunststofftypen. In Transistorverstärkern ist es genau umgekehrt, hier sind Spannungen und Impedanzen niedrig; man braucht größere Kondensatoren und nimmt Elkos. John Curl: "Ein großer Teil der Verzerrungen wird von schlechten Kondensatoren erzeugt. Tauscht man sie gegen hochwertige, DA-arme Typen aus, dann wird der Klang oft hörbar besser. Der Unterschied zwischen Röhren und Transistoren wird dann sehr viel kleiner. Ein gewisser Rest verbleibt immer noch, aber der hat andere Ursachen."
Die Klangverschlechterung durch Elkos ist dort am stärksten, wo die Signalpegel am höchsten sind. Im Audiobereich also in der Endstufe und in der Lautsprecherweiche. Die ältesten eisenlosen Transistorendstufen arbeiteten mit einer einfachen Versorgungsspannng; hier saß zwischen Ausgang und Lautsprecher immer ein großer Elko zur Abtrennung der Gleichspannung, typisch 2200 µF. Dessen negative Wirkung besteht hier zum einen in der DA, die Verzerrungen im Tieftonbereich erzeugt [4], zum anderen auch im Serienwiderstand, der hier wegen der starken Signalströme merklich zu Buche schlägt und den Dämpfungsfaktor vermindert. Die Überbrückung mit einem hochwertigen Kunststoffkondensator von einigen zig µF kann hier einiges verbessern.
Dieser Schaltungstyp ist heute aber weitgehend ausgestorben. Bei modernen Endstufen mit symmetrischen Versorgungsspannungen entfällt der Ausgangskondensator – eine bedeutende Verbesserung. Dafür haben sie oft ein andere Schwachstelle: den Gegenkopplungsweg. Die Eingangsstufe ist als Differenzverstärker ausgeführt, die gesamte Schaltung hat große Ähnlichkeit mit einem Operationsverstärker. Auf den nichtinvertierenden Eingang wird das Eingangssignal gegeben, auf den invertierenden das mit einem Spannungsteiler heruntergeteilte Ausgangssignal (Bild 1). Dieser hat häufig in seinem Fußpunkt einen Elko, um die Ausgangs-Gleichspannung zu senken. So hat die Endstufe bei Wechselspannung einen Verstärkungsfaktor von (R1 + R2)/R2, bei Gleichspannung aber nur von 1; am Ausgang erscheint dann nur die Offsetspannung der Differenz-Eingangsstufe. Der besagte Elko ist meistens ein normaler polarer Typ; er wird hier abwechselnd richtig und falsch gepolt – typisch mit einigen 100 mV. Die hält er aus, er kann dadurch aber Klirrverzerrungen bis in die Größenordnung von 1% erzeugen – für HiFi entschieden zu viel.
Mit der in Bild 1 angegebenen typischen Dimensionierung kommt die untere Grenzfrequenz (3 dB Abfall der Verstärkung) auf 16 Hz. Angenommen die Eingangsspannung der Endstufe beträgt 1 V eff., dann liegen bei 16 Hz etwa 0,7 V eff. am Elko, bei höheren Frequenzen entsprechend weniger. Bei dumpfen Trommelschlägen können dann Verzerrungen auftreten, die feine Ohren offensichtlich wahrnehmen. Ein bipolarer Elko ist hier etwas besser, aber auch noch nicht ideal. Wirksamer ist es, den Elko einfach sehr viel größer zu machen, z. B. 100 µF, dann liegt hier nur noch 1/10 der Wechselspannung an. Am besten ist es aber, hier überhaupt keinen Kondensator hinzusetzen und die Ausgangs-Gleichspannung mit anderen Methoden zu beseitigen. Mit einer geeigneten Regelschaltung gelingt das bis auf wenige mV, die dem Lautsprecher nichts ausmachen [6].
Ein anderes Kapitel sind die Lautsprecherweichen. Es hat sich bereits weit herumgesprochen, dass hier Elkos vor Hoch- und Mitteltönern ausgesprochen schlecht sind, auch bipolare, glatte. Als Grund wird hier aber meist nur der zu hohe Serienwiderstand vermutet. In Wahrheit kommt noch die dielektrischen Absorption dazu. Kunststoffkondensatoren sind hier um Klassen besser, ein Austausch kann die betreffende Box wesentlich aufwerten. Weniger kritisch scheint es bei Kondensatoren zu sein, die zum Tieftöner parallel liegen – in Weichen mit 12 dB/Oktave Flankensteilheit. Im übrigen zeigen sich auch hier die meist sehr hohen Toleranzen bei den Elkos als negativ. Klangliche Exemplarstreuungen will man bei Lautsprecherboxen überhaupt nicht haben. Kunststoffkondensatoren lassen sich viel präziser fertigen.