Aktive Geräuschgestaltung
Wie gut sich ein Auto verkauft, hängt nicht zuletzt davon ab, was es für Geräusche von sich gibt. Wenn der erste Eindruck positiv sein soll, dann muss es sich auf jeden Fall richtig anhören. Dafür wird hoher Aufwand getrieben – heute nicht mehr wie einst nur mit mechanischen Mitteln, sondern zunehmend mit aufwendiger Elektronik.
von Helmuth Lemme
für die Zeitschrift
Nr. 6/2003, S. 26
Entsprechend alt sind die Bemühungen, die Geräusche nicht mehr dem Zufall zu überlassen, sondern ganz gezielt zu gestalten. In der Vergangenheit hat man an mechanischen Teilen – etwa Motor, Luftansaugstutzen, Auspuff – empirisch so lange herumgedoktert, bis das Ergebnis befriedigt hat. Eine der Haupt-Geräuschquellen ist der Lufteinlass. Bislang setzt man hier passive Schalldämpfer in Form von Kunststofffiltern ein. Weil die Motorgeräusche bei tiefen Frequenzen liegen, fallen die Filter sehr großvolumig aus, was dem Bestreben der Autoindustrie, unter der Motorhaube alles kleiner und kompakter zu machen, entgegensteht. Ein weiterer Nachteil: Der Luftwiderstand der Filter behindert die Luftzufuhr zum Motor, wodurch dessen Leistung sinkt.
Die optimale Gestaltung dieser Filter nimmt viel Zeit in Anspruch und ist in ihren Möglichkeiten doch eng begrenzt. Unter dem Konkurrenzdruck zwischen den verschiedenen Konzernen und dem Zeitdruck bei der Entwicklung muss die Suche nach einem spezifischen Klang schnell und effizient gehen. "Sound-Designer" trimmen ihn hin, bis er stimmt – heute weitgehend mit Computerhilfe [1].
Versuchsserien mit Fahrsimulator
Aufwendige Forschung in dieser Richtung betreibt die Siemens VDO Automotive im kanadischen Windsor/Ontario. Dort hat man ausgiebig untersucht, wie verschiedene Geräusche auf den Autofahrer wirken – welche ihn z. B. einschläfern und welche sein Wohlbefinden erhöhen. Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Psychoakustik, eine relativ junge Wissenschaftsdisziplin, deren Erkenntnisse im Automobilbau zunehmend auf offene Ohren treffen.
Zur Beurteilung verschiedener Fahrgeräusche wurde eine größere Zahl von Juroren befragt. Um allen exakt die gleichen Bedingungen zu präsentieren, hat man bei realen Fahrten die Geräusche und Vibrationen des Fahrzeugs aufgenommen, dazu einen Videofilm von der Strecke – auf Straßen verschiedener Qualität, bei Tag und bei Nacht sowie bei trockenem Wetter und bei Regen. In einem Fahrsimulator (Bild 1) wurden diese Aufnahmen dann abgespielt, so dass die Juroren die Fahrt im Labor wie im echten Auto nacherleben konnten.
Mit einem elektronischen Geräuschformungssystem wurden die Aufnahmen dann gezielt verändert. Die so erzeugten verschiedene Geräuschtypen fanden bei den Juroren sehr unterschiedliche Bewertungen. Ein sehr niedriges Geräuschniveau kam dabei keineswegs immer am besten an. In vielen Situationen wollen die Fahrer ihren Motor durchaus hören. Nur bei Nacht- oder Regenfahrten, die besondere Konzentration erfordern, bevorzugt die Mehrheit Ruhe. Bei Überlandfahrten am Tage findet dagegen etwas mehr Geräusch größeren Gefallen. In der Stadt wird ein Motorgeräusch besonders gut beurteilt, wenn bestimmte Obertöne während Beschleunigungsphasen deutlich verstärkt werden. Ganz allgemein werden harmonisch zusammengesetzte Geräusche vorgezogen, dissonante dagegen eher abgelehnt.
Gezielte Soundformung mit Gegenschall
Weil auch bei ausgeklügelter mechanischer Auslegung von Ansaugstutzen, Motor und Auspuff die Dissonanzen nicht immer ganz zu beseitigen sind, hat Siemens VDO eine Technik entwickelt, mit der das Motorgeräusch aktiv beeinflusst werden kann – und zwar direkt an der Quelle. Bei der "Active Noise Control" (ANC) wird mit einem Mikrofon am Luftansaugsstutzen das hier entstehende Geräusch aufgenommen (Bild 2) . Das Steuergerät enthält einen Signalprozessor, der auf Basis der Messung und eines fahrsituationsabhängigen Sollwertes ein Korrektursignal errechnet, das auf einen im Ansaugtrakt sitzenden Lautsprecher geleitet wird (Bild 3). Bei den unerwünschten Frequenzanteilen ist dieses gerade gegenphasig zu den mechanisch erzeugten Schallwellen, so dass sich beide weitgehend wegkompensieren. Zur Synchronisation mit der Motordrehzahl erfasst dabei ein induktiver Sensor die Drehung der Kurbelwelle. Durch die Nähe zur Geräuschquelle kommt das System mit einer Leistung von wenigen Watt aus.
Ein solches Prinzip wird seit Jahren zur Lärmbekämpfung genutzt [2]. Weil nun im Auto totale Stille nicht das erstrebenswerte Ziel ist, führt man es hier etwas anders aus: Es werden im Klangspektrum lediglich die unerwünschten Frequenzanteile unterdrückt; erwünschte, die zunächst zu schwach vorhanden sind, werden dagegen verstärkt. Dabei ergeben sich unter Berücksichtigung von psychoakustischen Erkenntnissen reichhaltige Möglichkeiten, das Motorengeräusch fast nach Belieben zu gestalten und an den Charakter des jeweiligen Fahrzeugmodells anzupassen.
Das richtungsweisende System bietet noch weitere Vorteile: Es ist – bei vergleichbaren Kosten – kleiner als die herkömmlichen passiven Filtersysteme. Und weil die Leistung eines Motors direkt von der angesaugten Luftmenge abhängig ist, lässt sie sich über die verbesserte Luftzufuhr steigern. Voraussichtlich im Modelljahr 2004/2005 soll eine Pilotserie starten. Der Leiter des Entwicklungsteams, Ian McLean, hat dafür den Siemens-Erfinderpreis erhalten.
Helmuth Lemme
Literatur
[2] Lemme, H.: Lärm kontra Lärm. Elektronik 1992, H. 19, S. 44.