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Röhren in Gitarrenverstärkern
aus dem ELEKTOR-Sonderheft "Röhren 2"
Es jault, kracht, röhrt, wimmert, explodiert. Es fliegen akustisch die Fetzen. Was wären die E-Gitarristen ohne ihre Verstärker? Unter allen elektroakustischen Geräten sind sie die absoluten Exoten, der totale Gegenpol zu HiFi. Je "dreckiger" der Klang, desto mehr Eindruck machen sie. Was steckt elektronisch dahinter? So undurchschaubar, wie oft behauptet, ist es nicht. Die Geheimnisse lassen sich lüften. Hier wird das Innenleben dieser "musikalischen Kampfmaschinen" einmal gründlich durchleuchtet.
Die Zeiten sind vorbei, in denen der Verstärker nichts als ein Zubehörteil war, das
die Gitarre einfach nur lauter machen sollte, damit sie sich in Bigbands mit vielen Bläsern und Schlagzeug behaupten konnte. Heute soll er vor allem auch den Sound zurechtformen. Eine naturgetreue Wiedergabe hat sich hier - von akustischen Gitarren einmal abgesehen - als nicht besonders beliebt erwiesen. Viel besser sind solche Verstärker bei den Musikern angekommen, die das Klangmaterial der E-Gitarre stark verändern. Sie verbiegen den Frequenzgang und erzeugen kräftige Klirrverzerrungen, indem sie mehr oder weniger stark übersteuert werden. Aber die Verfälschung geschieht nicht irgendwie, sondern ganz gezielt "gewusst wie".
Die Hersteller - tonangebend in den USA und Großbritannien - verraten nicht viel darüber, was da genau passiert. Viel lieber verbreiten sie blumige Sprüche - teils ohne jeden fassbaren technischen Inhalt, teils irreführend oder widersprüchlich. Damit lässt sich nun einmal mehr Umsatz machen als mit trockenen technischen Fakten. Aber Okkultismus ist nun allmählich genug getrieben worden, es ist Zeit für Aufklärung. So unerforschlich, wie das Verhalten von Gitarrenverstärkern auf den ersten Blick erscheinen mag, ist es keineswegs. Mehr oder weniger alle hier wirkenden Effekte lassen sich erklären und messtechnisch erfassen.
Was die Beurteilung von Klängen angeht, bleibt selbstverständlich das menschliche Ohr die letzte Instanz. Es kann nun einmal ungeheuer fein unterscheiden. Nur kann es leider schwer sagen, was an einem Verstärker zu ändern ist, wenn einem der Klang nicht gefällt. Da kann die Messtechnik sehr viel helfen.
Eigens auf Elektrogitarren abgestimmte Verstärker gibt es seit den 30-er Jahren. Es waren zunächst mehr oder weniger "Dampfradios" ohne HF-Teil, natürlich alle mit Röhren. Transistorverstärker kamen in den 60-er Jahren auf - und erwarben sich schnell einen schlechten Ruf. Der Ton, den sie abgaben, kam bei den Gitarristen überhaupt nicht an. Außerdem waren sie sehr empfindlich gegenüber falscher Behandlung und gaben oft völlig unvermittelt ihren Geist auf.
Auf der anderen Seite haben Transistoren aber doch einige Vorzüge: Sie kennen keine Alterung, d. h. entweder sind sie sind vollkommen in Ordnung oder ganz defekt, dazwischen gibt es nichts. Moderne Typen lassen sich mit sehr viel geringeren Exemplarstreuungen herstellen als Röhren. Transistor-Gitarrenverstärker erlauben vielseitigere Klangeinstellungen. Sie sind bei gleicher Leistung um etliche Kilo leichter und entwickeln weniger Wärme, wodurch die Bauteile länger halten. Und schließlich sie sind weitaus kostengünstiger.
Diese Argumente ließen viele Hersteller nicht ruhen, sie systematisch zu verbessern und ihre anfänglichen Schwachstellen auszumerzen. Die Ausfallsicherheit ist heute dank ausgeklügelter Schaltungskonzepte und besserer Transistoren äußerst hoch. Auch der Klang ist sehr viel besser geworden. Die Schaltungsentwickler haben in mühevoller Kleinarbeit gründlich erforscht, woher die unterschiedlichen Klangeigenschaften kommen, und viel unternommen, um mit Halbleitern das Verhalten von Röhren zu imitieren. Das hat dann zumindest teilweise auch zu Erfolg geführt. Wenn moderne Transistor-Gitarrenverstärker im Klang vielleicht auch noch nicht an die besten Röhren-Modelle heranreichen, so tönen sie doch um Klassen besser als die aus den 60-er Jahren.
Im Laufe von sieben Jahrzehnten haben sie sich zu recht komplexen Spezialgeräten entwickelt, deren Bedienung einigen Sachverstand verlangt. Modernen Gitarrenverstärkern wird abverlangt, dass sie nicht nur einen einzigen guten Sound bringen, sondern vielmehr möglichst variabel sind. Gitarristen unterscheiden drei Hauptklassen von Sounds (mit fließenden Übergängen dazwischen):
- "Clean": klarer, unverzerrter Klang, natürliche Spieldynamik.
- "Crunch": am Beginn der Übersteuerung; schwache Anschläge werden noch halbwegs klar wiedergegeben, starke dagegen schon verzerrt; sie erscheinen durch die stärkeren Obertöne aggressiver. Das Verhalten ist hier ähnlich wie bei Blasinstrumenten, wo ebenfalls der Gehalt an Obertönen zunimmt, wenn man stärker hineinbläst. Von der Spieldynamik ist noch sehr viel übrig.
- "Lead": Der Verstärker wird sehr stark übersteuert, auch schon bei schwachen Anschlägen. Hier gibt es praktisch keine Dynamik mehr, alle Töne klingen gleich laut.
Moderne Verstärker der Oberklasse erlauben in jedem dieser drei Bereiche eine eigene Einstellung von Lautstärke und Klangfarbe und ein schnelles Umschalten dazwischen mittels Fußschalter.
Zur Bauweise: Es überwiegen die Kofferverstärker ("Combo"), wo Verstärkerteil und Lautsprecher im selben Gehäuse sitzen. Seltener sind beide getrennt - die "Marshall-Türme" haben hier Geschichte gemacht. Das äußere Erscheinungsbild erlaubt heute in den seltensten Fällen einen Rückschluss auf die im Inneren verwendete Technik.
Was ist nun das "Geheimnis" eines guten Gitarrenverstärkers? Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist nicht ein einziges, sondern zahllos viele. Der Entwickler hat eine ganze Reihe von Freiheitsgraden, wo er seine Kreativität spielen lassen kann. (Dass die meisten Firmen aber nur abkupfern und die wenigsten sich eigene Ideen einfallen lassen, steht auf einem andern Blatt.)
Die wichtigsten Hersteller: Der allererste - die US-Firma Rickenbacker - hat heute nur noch einen verschwindenden Marktanteil. Mitte der 30-Jahre kam Gibson auf den Markt; der führende amerikanische Hersteller von Gitarren erkannte die sehr viel bessere Durchsetzungsfähigkeit elektrifizierter Instrumente. Zur erfolgreichsten Firma in den USA und bald auch weltweit wurde dann aber Fender (Bild 1), gegründet 1946. In England machten in den 60-er Jahren Vox und Marshall den Anfang. Danach folgten viele weitere, heute ist der Markt bald unübersehbar. Bahnbrechende Neuerungen kommen aber von den wenigsten; hier hat sich vor allem die US-Firma Mesa-Boogie mit raffinierten, manchmal regelrecht überladenenen Schaltungen und feinen Edelholzgehäusen einen legendären Ruf erworben. Die Schaltungen der Erfolgsfirmen wurden dann von vielen Nachahmern mehr oder weniger geklaut.
die Gitarre einfach nur lauter machen sollte, damit sie sich in Bigbands mit vielen Bläsern und Schlagzeug behaupten konnte. Heute soll er vor allem auch den Sound zurechtformen. Eine naturgetreue Wiedergabe hat sich hier - von akustischen Gitarren einmal abgesehen - als nicht besonders beliebt erwiesen. Viel besser sind solche Verstärker bei den Musikern angekommen, die das Klangmaterial der E-Gitarre stark verändern. Sie verbiegen den Frequenzgang und erzeugen kräftige Klirrverzerrungen, indem sie mehr oder weniger stark übersteuert werden. Aber die Verfälschung geschieht nicht irgendwie, sondern ganz gezielt "gewusst wie".
Die Hersteller - tonangebend in den USA und Großbritannien - verraten nicht viel darüber, was da genau passiert. Viel lieber verbreiten sie blumige Sprüche - teils ohne jeden fassbaren technischen Inhalt, teils irreführend oder widersprüchlich. Damit lässt sich nun einmal mehr Umsatz machen als mit trockenen technischen Fakten. Aber Okkultismus ist nun allmählich genug getrieben worden, es ist Zeit für Aufklärung. So unerforschlich, wie das Verhalten von Gitarrenverstärkern auf den ersten Blick erscheinen mag, ist es keineswegs. Mehr oder weniger alle hier wirkenden Effekte lassen sich erklären und messtechnisch erfassen.
Was die Beurteilung von Klängen angeht, bleibt selbstverständlich das menschliche Ohr die letzte Instanz. Es kann nun einmal ungeheuer fein unterscheiden. Nur kann es leider schwer sagen, was an einem Verstärker zu ändern ist, wenn einem der Klang nicht gefällt. Da kann die Messtechnik sehr viel helfen.
Eigens auf Elektrogitarren abgestimmte Verstärker gibt es seit den 30-er Jahren. Es waren zunächst mehr oder weniger "Dampfradios" ohne HF-Teil, natürlich alle mit Röhren. Transistorverstärker kamen in den 60-er Jahren auf - und erwarben sich schnell einen schlechten Ruf. Der Ton, den sie abgaben, kam bei den Gitarristen überhaupt nicht an. Außerdem waren sie sehr empfindlich gegenüber falscher Behandlung und gaben oft völlig unvermittelt ihren Geist auf.
Auf der anderen Seite haben Transistoren aber doch einige Vorzüge: Sie kennen keine Alterung, d. h. entweder sind sie sind vollkommen in Ordnung oder ganz defekt, dazwischen gibt es nichts. Moderne Typen lassen sich mit sehr viel geringeren Exemplarstreuungen herstellen als Röhren. Transistor-Gitarrenverstärker erlauben vielseitigere Klangeinstellungen. Sie sind bei gleicher Leistung um etliche Kilo leichter und entwickeln weniger Wärme, wodurch die Bauteile länger halten. Und schließlich sie sind weitaus kostengünstiger.
Diese Argumente ließen viele Hersteller nicht ruhen, sie systematisch zu verbessern und ihre anfänglichen Schwachstellen auszumerzen. Die Ausfallsicherheit ist heute dank ausgeklügelter Schaltungskonzepte und besserer Transistoren äußerst hoch. Auch der Klang ist sehr viel besser geworden. Die Schaltungsentwickler haben in mühevoller Kleinarbeit gründlich erforscht, woher die unterschiedlichen Klangeigenschaften kommen, und viel unternommen, um mit Halbleitern das Verhalten von Röhren zu imitieren. Das hat dann zumindest teilweise auch zu Erfolg geführt. Wenn moderne Transistor-Gitarrenverstärker im Klang vielleicht auch noch nicht an die besten Röhren-Modelle heranreichen, so tönen sie doch um Klassen besser als die aus den 60-er Jahren.
Im Laufe von sieben Jahrzehnten haben sie sich zu recht komplexen Spezialgeräten entwickelt, deren Bedienung einigen Sachverstand verlangt. Modernen Gitarrenverstärkern wird abverlangt, dass sie nicht nur einen einzigen guten Sound bringen, sondern vielmehr möglichst variabel sind. Gitarristen unterscheiden drei Hauptklassen von Sounds (mit fließenden Übergängen dazwischen):
- "Clean": klarer, unverzerrter Klang, natürliche Spieldynamik.
- "Crunch": am Beginn der Übersteuerung; schwache Anschläge werden noch halbwegs klar wiedergegeben, starke dagegen schon verzerrt; sie erscheinen durch die stärkeren Obertöne aggressiver. Das Verhalten ist hier ähnlich wie bei Blasinstrumenten, wo ebenfalls der Gehalt an Obertönen zunimmt, wenn man stärker hineinbläst. Von der Spieldynamik ist noch sehr viel übrig.
- "Lead": Der Verstärker wird sehr stark übersteuert, auch schon bei schwachen Anschlägen. Hier gibt es praktisch keine Dynamik mehr, alle Töne klingen gleich laut.
Moderne Verstärker der Oberklasse erlauben in jedem dieser drei Bereiche eine eigene Einstellung von Lautstärke und Klangfarbe und ein schnelles Umschalten dazwischen mittels Fußschalter.
Zur Bauweise: Es überwiegen die Kofferverstärker ("Combo"), wo Verstärkerteil und Lautsprecher im selben Gehäuse sitzen. Seltener sind beide getrennt - die "Marshall-Türme" haben hier Geschichte gemacht. Das äußere Erscheinungsbild erlaubt heute in den seltensten Fällen einen Rückschluss auf die im Inneren verwendete Technik.
Was ist nun das "Geheimnis" eines guten Gitarrenverstärkers? Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist nicht ein einziges, sondern zahllos viele. Der Entwickler hat eine ganze Reihe von Freiheitsgraden, wo er seine Kreativität spielen lassen kann. (Dass die meisten Firmen aber nur abkupfern und die wenigsten sich eigene Ideen einfallen lassen, steht auf einem andern Blatt.)
Die wichtigsten Hersteller: Der allererste - die US-Firma Rickenbacker - hat heute nur noch einen verschwindenden Marktanteil. Mitte der 30-Jahre kam Gibson auf den Markt; der führende amerikanische Hersteller von Gitarren erkannte die sehr viel bessere Durchsetzungsfähigkeit elektrifizierter Instrumente. Zur erfolgreichsten Firma in den USA und bald auch weltweit wurde dann aber Fender (Bild 1), gegründet 1946. In England machten in den 60-er Jahren Vox und Marshall den Anfang. Danach folgten viele weitere, heute ist der Markt bald unübersehbar. Bahnbrechende Neuerungen kommen aber von den wenigsten; hier hat sich vor allem die US-Firma Mesa-Boogie mit raffinierten, manchmal regelrecht überladenenen Schaltungen und feinen Edelholzgehäusen einen legendären Ruf erworben. Die Schaltungen der Erfolgsfirmen wurden dann von vielen Nachahmern mehr oder weniger geklaut.
Bild 1. Innenleben eines "Klassikers": Fender "Blues de Ville" im wieder aufgelegtem Tweed-Design der 50-er Jahre
Eines sei klargestellt: Der Verstärker kann natürlich nur das an Klangmaterial weiterverarbeiten, das er von der Gitarre geliefert bekommt. Es gilt gnadenlos das Gesetz "garbage in - garbage out". Mit einem minderwertigen Instrument ist auch mit dem besten Verstärker nichts Großartiges an Sound zu erwarten - es sei denn bei brutaler Übersteuerung. Je mehr man übersteuert, desto mehr geht der Anteil der Gitarre am Gesamtklang zurück, und der des Verstärkers nimmt zu. Der Übergang ist fließend. Mehr darüber später.